Eine geringe Anzahl von Vogelarten gilt in Deutschland als „windenergiesensibel“ und muss bei der Planung und den Genehmigungsverfahren neuer Windenergieanlagen (WEA) besonders berücksichtigt werden. Neben dem Tötungs- und Verletzungsrisiko für Vögel durch direkten Rotorenschlag können auch Bau, Betrieb und Rückbau von WEA die Lebensräume betroffener Arten stören und zerschneiden. Teilweise können die hinter den WEA liegenden Gebiete nicht mehr mit vertretbarem Aufwand erreicht werden; dies bedeutet den Verlust von Nahrungsflächen für lokale Arten und einen zusätzlichen Energieaufwand für das Umfliegen für migrierende Arten.
In Relation zu anderen Gefahren für Vögel sind WEA mit ca. 100.000 Tieren pro Jahr jedoch für einen relativ geringen Anteil von den getöteten Vögeln verantwortlich. Vom NABU veröffentlichte Statistiken zeigen auf, dass 1000-mal mehr Vögel (ca. 108 Millionen) in Deutschland pro Jahr an den Glasfronten von Gebäuden, 700-mal mehr durch Kollisionen mit PKW, LKW und Bahn (70 Mio.) und 600-mal mehr durch Hauskatzen (60 Mio.) sterben. Die weitaus größte Gefahr stellt jedoch die industrielle Landwirtschaft dar, die durch Monokulturen und hohem Pestizideinsatz den Vorrat an Insekten – und somit an Nahrung für Vögel – immer weiter schrumpfen lässt. WEA sind also mitnichten die Hauptverursacher von negativen Populationsentwicklungen „windenergiesensibler“ Vogelarten, sondern tragen lediglich zu einem geringen Teil neben anderen Flächennutzungen wie Landwirtschaft, Infrastruktur und Siedlungen dazu bei, Druck auf diese Vogelarten und ihre Lebensräume auszuüben.
Um nun diesen Druck durch WEA auf „windenergiesensible“ Arten zu minimieren, sieht das im vorherigen Beitrag erwähnte Eckpunktepapier des BMUV und BMWK vom April 2022 vor, bundeseinheitlich gesetzliche Standards geltend zu machen. Diese dienen der Prüfung, ob sich durch die Errichtung einer WEA das Tötungs- und Verletzungsrisiko kollisionsgefährdeter Vögel signifikant erhöht. Dadurch würden für Genehmigungsbehörden verbindliche Bewertungskriterien festgelegt. Zu diesen zählen unter anderem präzise und einheitliche Listen für die betroffenen Vogelarten, die Vermeidungsmaßnahmen und die jeweiligen Abstände und ein neues Artenhilfsprogramm, in das die Windenergie-Betreiber einzahlen, wenn sie eine artenschutzrechtliche Ausnahmeregelung nutzen.
Zusätzlich zu Mindestabständen und temporären Abschaltungen kann der Vogelschutz mit technischen Lösungen wie Antikollisions-Kamera-Systemen als Vermeidungsmaßnahmen weiterhin vorangetrieben werden. Laut des Bundesamts für Naturschutz (BfN) sind solche Systeme in der Lage, bestimmte Zielvogelarten in Echtzeit zu erkennen und bei Eintritt in den Gefahrenbereich den Betrieb der Anlage einzustellen, wodurch sie das Potenzial besitzen, erhöhte Tötungsrisiken von windenergiesensiblen Vogelarten signifikant zu senken. Mit IdentiFlight® gibt es nun auch ein in Deutschland erprobtes, validiertes System, welches eine geeignete Schutzmaßnahme darstellt. Damit solche Systeme in Zukunft immer gezielter in die Ausstattung von WEA integriert werden, hat das BfN Empfehlungen für mögliche Anwendungen solcher Systeme erarbeitet. Durch deren vermehrten Einsatz könnten pauschale Abstände oder Flächenausschlüsse vermieden werden und somit die Entstehung artenschutzgerechter Windparks in die Wege geleitet werden, sodass das Flächenziel von 2% für erneuerbare Energien erreicht werden könnte und das ohne große Abstriche beim Vogelschutz.
Weiterführende Links: